
Medienethik. Melanie studiert Religionspädagogik in Salzburg. In ihrem Beruf als Journalistin und Fotografin in Oberösterreich bewegt sie sich auf dem schmalen Grat zwischen Fakt und Fiktion. Was ihre Fahrt zur und von der Tagung mit dem Thema Medienethik verbindet. Und was Melanie aus dem „Fall Relotius“ gelernt hat.
Von Michaela Greil
Es ist Mitte Februar im Jahr 2020. Kalte Schauer laufen Melanie über den Rücken. Vor ihr bauen sich dunkle Wolken auf. Die Stimmung ist düster. Es wird kälter und kälter. Ein Schneesturm zieht an der Grenze zu Deutschland auf. Im Schritttempo fährt Melanie an den bewaffneten und Respekt einflößenden Grenzposten vorbei. Weiter nördlich legt der Sturm so richtig los. Melanie hält das Lenkrad fest, um nicht von der Straße abzukommen. Die 28-jährige Mühlviertlerin hat bereits zwei Stunden Fahrt und rund 160 Kilometer hinter sich.
Gegenwind
Der Sturm zwingt Melanie, langsamer zu fahren. Der Schnee nimmt ihr die Sicht. Es ist ein mühsames Vorantasten, bis sich die Wetterlage bessert. 120 weitere Kilometer trennen sie von ihrer Fortbildung in München zum Thema „Medien und Wahrheit“. Die Geschichte des deutschen Journalisten Claas Relotius, der zu viel Fiktion in seine Reportagen gepackt hat, hängt wie eine dunkle Wolke über der deutschsprachigen Medienlandschaft. JournalistInnen kämpfen mit Gegenwind und verteidigen ihr Berufsethos. Obwohl ihnen droht, das Vertrauen des Publikums zu verlieren, ist die Stimmung in der Branche noch nicht ganz so düster wie die Wolken des Schneesturms, die Melanie gerade gesehen hat.
Facettenreiche Suche

Nahe München reißen die Wolken auf, strahlend blauer Himmel ist zu sehen. Sonnenstrahlen fallen durch die Autofenster und wärmen Melanie. Die Temperatur steigt. In München duftet es nach Frühling, Kaffee, bayerischen Brezen und Leberkäse.
Mehr als 150 Menschen aus dem deutschsprachigen Raum diskutieren drei Tage lang über die vielen Facetten von „Medien und Wahrheit“. Ihnen ist es wichtig, die Normen als Leitplanke im Alltag der Mediennutzenden weiterzuentwickeln. Viele KonsumentInnen fühlen sich überfordert, finden sich in der „digitalen Welt“ nicht mehr zurecht. Jeder muss im Alltag die Navigation im digitalen Raum meistern, gleichzeitig Fakten checken, JournalistIn sein, mitwirken, Inhalte veröffentlichen, Statements abgeben, möglichst viel Reichweite erzeugen und die Darbietung auf dieser Bühne analysieren und das, obwohl die meisten das nie gelernt haben.
In Zeiten von Digitalisierung und bewussten Falschmeldungen, der „Fake News“, gleicht die Suchbewegung nach der Wahrheit Melanies erster Reise nach München, durch Unwetter, Schneeschauer, Sonnenschein und durch die Dunkelheit der Nacht.
Navigationshilfe
Das grelle Rot der Bremslichter blendet Melanie auf ihrem Rückweg. Der lange Stau auf der fünf-spurigen Autobahn war bereits aus der Ferne zu sehen. Nur langsam fahrend kommt Melanie ins Nachdenken. Für sie gibt es eine Navigationshilfe durch die düsteren Zeiten der „Fake News“. Sie erinnert sich daran, was der Münchner Philosoph Nikil Mukerji während der Tagung gesagt hat: „Das Trennungsgebot von Meinung und Nachricht fehlt. Eigentlich brauchen wir mehr Journalistinnen und Journalisten, haben aber weniger. Wir brauchen mehr digitale Informations- und Nachrichtenkompetenz.“
Ebenso kritisch hat sie die Aussage von Alexander Sängerlaub im Kopf: „Fake News sind ethisch problematisch, weil sie Fehlinformation enthalten, die Konsequenzen haben können.“ Der Kommunikationswissenschaftler aus Berlin ist überzeugt, dass jede/r etwas tun kann. Er nimmt sowohl soziale Medien, als auch den Staat, jeden einzelnen Menschen und Nichtregierungsorganisationen in die Pflicht – ähnlich wie bei einer Autofahrt in schwierigen Fahrverhältnissen.
Blitzlichter
„Nicht die Wahrheit, sondern der Irrtum ist das, was das menschliche Erkenntnisstreben im Gang hält. Wahrheit ist die Praxis des Suchens nach etwas, das wir als wahr empfinden.“
Sybille Krämer, Berlin
„Die Reportage erschließt die Welt des Subjektiven, aber mit gewissem Objektivitätsanspruch. Ein Missbrauch davon wurde zum Beispiel beim ‚Fall Relotius‘ bekannt. Es geht um die Wahrhaftigkeit des Reporters. Das ist ein großer Akt der Distanzierung. Denn der Reporter weiß, er leiht dem Leser, der Leserin die Stimme.“
Tanjev Schultz, Mainz
„Die Transparenz fehlt oft. Fiktion muss klar erkennbar sein.“
Tobias Eberwein, Wien
„Die Debatte um Wahrheit im Journalismus hat nie aufgehört. Man sollte sich nicht von diesen Erregungszuständen beirren lassen, sondern den Fragen nachgehen.“
Günter Bentele, Leipzig
Diese Reportage entstand im Rahmen des Kurses „1×1 im Journalismus – Reportage“ der Katholischen Medienakademie (KMA) im Frühjahr 2020 in Salzburg. Referentin: Prof.in Mag.a Gabriele Neuwirth, Freie Journalistin und Vorsitzende des Verbands katholischer Publizistinnen und Publizisten Österreichs.
Die erwähnte Jahrestagung des Netzwerks Medienethik zum Thema „Medien und Wahrheit“ fand von 19.-21. Februar 2020 in München / Deutschland statt.